Gesellschaftstanzverweigerer

Ich bin jetzt knapp 41 und wenn ich auf 20-Jährige treffe bin ich sehr häufig überrascht wie unfertig die sind. Das lässt mich dann wieder daran zweifeln, ob ich als Jugendlicher meinem eigenen Selbstbild entsprochen habe.

Wenn ich dann aber im Alter mein jüngeres Ich bestätigen kann, dann ist das eine gute Sache. Warum? Weil es zeigt, dass die heutigen Jugendlichen vielleicht nicht immer alles richtig machen, aber ganz bestimmt die richtigen Ideen verfolgen.

In dem 8 Schuljahr musste ich einige viele Nachmittage alleine verbringen. Mein Freundeskreis war groß und gut durchgemischt. Das war wichtig, weil ich kein Fußballspieler war. Wenn die Jungs also durch Training, Turnieren oder Punktspielen nicht zu erreichen waren, konnte ich mich noch immer mit den Mädels behelfen.

Irgendwann ging der Plan aber nicht mehr auf. Denn die örtliche Tanzschule hat Flyer in der Schule verteilt und Kurse angeboten. Gesellschaftstanz war … nicht angesagt, aber das Thema der Stunde. Alle belegten den Tanzkurs, selbst die am Rand der Klassengesellschaft. Die im Sommer mit Sandalen und Socken in die Schule kamen. Selbst die gingen zum Tanzkurs. Nur ich nicht.

Ich wollte nicht dem gesellschaftlichen Druck nachgeben. Ich war etwas anders als die anderen und da bestand ich drauf. Ich trug Lackschuhe mit Blechkappe wie die Jungs von Bros und als Kriss Kross am Start waren trug ich die Jeans verkehrt herum. Auch lange Haare waren mein Ding und Ohrringe. Und dass viele mich deswegen als Schwuchtel oder als N… (meine Haare waren halt lockig) beschimpften bestärkte mich darin, das so zu tun.

Ich wollte die ostfriesische dörfliche, durch Inzest durchtriebene Gesellschaft auf meine Art zum Denken anregen. Ich wollte zeigen, dass man anders sein kann und dass es mehr gibt als den Konsens. War nicht immer ganz einfach …

An 20 Nachmittagen waren ich ohne meine Freunde + eine Abschlusstanzveranstaltung, an der ich natürlich nicht teilnehmen konnte + die vielen Stunden auf Schulhof, an denen die Tanzpaare das Gespräch unterbrachen und das Tanzen übten.

Auch hatte ich es so verpasst, zarten körperlichen Kontakt zu der Damenwelt aufzubauen. Viele Beziehungen sind in dieser Zeit gestartet. Wenige haben gehalten.

Bereut hab ich es aber erst einige Jahre später. Mein bester Freund hat geheiratet und ich war Trauzeuge. Ehrentanz … megapeinlich. Schrecklich. Bisher konnte ich mich ja immer drücken, aber hier, an dieser Stelle, musste ich da durch. 30 Minuten vorher begann das Schwitzen und die Scham ging es nach drei Bier mit Schnaps weg.

Auf meiner eigenen Hochzeit hab ich sehr darauf geachtet das es keine Tradition gibt und bin so dem ganzen nochmal entgangen. Aber meiner Frau hab ich da vielleicht was genommen. Ganz sicher sogar.

Denn natürlich ist es ein sehr vertrauter und romantischer Moment, wenn man so alleine über die Tanzfläche gleitet. Und auch bei allen anderen Partys ist es etwas, wo man als Paar zusammen kommen kann, wenn man gemeinsam tanzt. Und das fehlt natürlich und das fehlt vielleicht auch meiner Frau.

Und ich bin ja eigentlich ein guter Tänzer. Nur ist Tanzen für mich etwas, das ich nutze, um die Gefühle herauszulassen, die eine Musik in mir auslöst. Ich muss die Musik spüren und dann kann ich sie zu Tanz formen. Zu meinem Tanz. Ich kann also nicht zu allem Tanzen und nicht immer. Nur dann, wenn mein Körper es von mir verlangt.

Das ist dann vielleicht auch der Grund, warum ich bei dem Tanzkurs versagt habe, den ich dann meiner Frau vor einigen Jahren geschenkt habe. Den Gesellschaftstanz hat nichts damit zu tun, die Musik zu fühlen. Es geht darum, sich zu präsentieren. Eine bestimmte Schrittfolge, die Mittänzer nicht anschubsen, über die Tanzfläche gleiten und dabei gut aussehen. Keine Bewegung ist unkontrolliert. Alles findet bewusst statt. Nichts kommt von einem selbst.

Ein gesicherter Raum in einer Gesellschaft, der Spaß und Lust und Romantik vorgaukelt.

Ich habe also doch richtig gehandelt, als ich mich in der 8ten Klasse gegen einen Tanzkurs entschied. Denn umso mehr Ihre Hochzeiten anders feiern, und umso mehr auf der Tanzfläche stehen und einfach so tanzen, umso egaler wird es, was die Gesellschaft fordert. Die Gesellschaft, die eigentlich nur von den schwächsten gebildet wird, die eigentlich nur sich selber schützen wollen, weil Sie Angst haben.

Und darum muss ich auch kein schlechtes Gefühl haben, wenn ich sage: Nö, das mache ich nicht.

Aber wo ist denn jetzt der Bezug um Umweltschutz und der guten Greta? Nur der stete Tropfen höhlt den Stein.


2 Antworten

  1. Avatar von Holger

    Schade, darüber hätte ich mich gerne mit dir unterhalten! 🙂

    Und aber: „Nichts kommt von einem selbst.“ Das stimmt so nicht. Ein guter (professioneller) Tänzer wird z.B. einen Tango viel persönlicher, intensiver und eben besser tanzen als irgendeiner, der BronzeSilberGold in der Tasche hat und im Grunde die gleichen Tango-Schritte tanzt.
    So wie Chopin auch nicht von allen Klavierspielern gleich klingt, obwohl alle die gleichen Noten haben…

    1. Avatar von alphathiel
      alphathiel

      Können wir ja noch.

      Und du hast mit deinem Einwand ja sicher Recht, aber das trifft auf ca. genau 1% der Tänzer zu.