Das Alphathiel und der gesunde Egoismus

Anfang des Jahres gab es eine Einladung des Offenen Blogs dort Gastbeiträge zu schreiben. Ich schickte den folgenden Beitrag, der dort aber nie veröffentlicht wurde. Na dann eben hier:

Als ich mich gestern versuchte in den Schlaf zu finden, erkannte ich: Verdammt, heute kein neuer Beitrag auf alphathiel.de. Der Tag war so dahin gerast und ich war nicht dazu gekommen. Und leider gibt es auch Tage, an denen nichts passiert, das man verbloggen könnte. Oder Tage, an denen man so im Tunnel ist, dass man gar nicht weiß, was man getan hat. Aber eigentlich weiß ich genau, da es immer noch was zu schreiben gibt. Und eigentlich ist es ja auch genau, dass der Grund, warum man bloggt. An jedem Tag noch etwas Besonderes entdecken. Sich selbst bewusst machen, dass man nicht nur ein Rad in der Maschine ist. Sich selbst zeigen, dass man etwas Besonderes ist.

Und mit diesem Gedanken verabschiedete ich mich in die Welt der Träume und erwachte auch wieder. Sehr kurz, nach dem dieser Tag begann, wurde aber klar: Es gibt eine Menge aufzuarbeiten.

Es ist Samstag. Es ist 9 Uhr. Erst mal einen Kaffee und Nachrichten checken. Langsam in den Tag starten. Jemand, der mir nahe steht, hat mir eine WhatsApp geschickt. Ich soll bitte anrufen. Es gibt was Wichtiges zu besprechen. Die Nachricht kam morgens um 6:30. Okeeee.

In dem Telefonat wurde mir berichtet, dass eine vierte Person bei einer dritten Person sein Leid über die Partnerin (Person 5) geklagt hat. Die Partnerin wiederum steht in Bezug zu mir, Person 3 und 2. Also in direktem Bezug. Person 4 ist total unglücklich und kurz davor, die Beziehung zu Person 5 zu beenden, wenn Person 5 das eigene Verhalten nicht ändert. Person 2 und 3 sind sich einig, dass wir alle gemeinsam intervenieren müssen.

Ich bin geschockt. Ich bin sprachlos. Ich bin nicht oft sprachlos. Aber in diesem Fall schon. Ich weiß, dass die Beziehung zwischen Person 4 und 5 nicht einfach ist. Nie gewesen ist. Aber was 35 Jahre funktioniert, kann doch auch noch die letzten paar Jahre funktionieren. Nein nein … ich werde nicht mit intervenieren. Es steht mir nicht zu. Es wird nichts ändern und es hilft niemanden. Im Gegenteil.

Person 2 macht mir … deutlich … dass ich mich hier nicht aus der Verantwortung schleichen könnte. Mir wird unterschwellig ein Vorwurf gemacht. Darauf stehe ich ja. Ich mache einen direkten Vorwurf gegenüber Person 2 und 3. Merke das dieses Gespräch in eine falsche Richtung driftet und lasse es sein. Ich vertage hier die Entscheidung darüber offiziell.

Ich möchte mich beim Leser entschuldigen. Das Ganze ist vielleicht etwas verwirrend. Mit Namen und Beschreibungen der Beziehungen untereinander wäre das sicherlich einfacher zu verstehen. Aber macht euch einen Spaß daraus und versucht zu erkennen, in welcher Beziehung die einzelnen Personen zueinander stehen.

Wie konnte es nur so weit kommen, dass ich gezwungen werde über das Leben und Handeln von Menschen, die mir lieb und wichtig sind, urteilen soll. Und ja, ich muss urteilen. Wenn ich intervenieren soll, muss ich einer Person sagen, was diese falsch macht. Ich muss sagen, was diese Person anders machen muss. Kann diese Person sich überhaupt ändern? Will sie sich überhaupt ändern? Und wäre es nicht die Aufgabe des „geschädigten“ Partners, sich zu artikulieren? Würde ich überhaupt ein so lange Zeit in einer solchen Beziehung leben wollen? Hat Person 4 sich vielleicht viel zu lange vor der Konfrontation gedrückt? Und hat das nicht erst die aktuelle Situation gefördert? Und ist der „Hilferuf“ vielleicht nur die Suche nach der Absolution? Wenn sich alle einig sind, dass Person 5 ganz schrecklich ist, dann kann auch niemand böse sein, wenn Person 4 geht. Ist es das, was die Hilfe suchende Person wirklich will? Absolution?

Warum ist es Person 2 und 3 so wichtig hier zu interveniere? Geht es darum, eine Beziehung zu retten? Oder geht es nur darum, dass alle davon ausgehen, dass Person 4 sicher bis zum Ende um Person 5 kümmern muss und man diese komfortable Position sich nicht in Luft auflösen soll?

Natürlich, denn Person 2 hat ja im Telefonat schon erwähnt, dass welche Verantwortung auf alle zukommt, wenn es diese Trennung geben sollte. Ist die Intervention also nur der Strohhalm? Aber warum sollten wir irgendwas müssen? Für wen? Wofür? Ich werde mein Leben nicht ändern.

Ich fühle mich nicht verpflichtet. Zu gar nichts. Person 2 und 3 aber schon. Wobei ich nicht weiß, warum. Ist es der gesellschaftliche Druck? Ist es eine größere emotionale Gebundenheit? Ist es ein Thema des Geschlechts (ein Hinweis, ein Hinweis).

Was es auch immer ist. Es sind die falschen Beweggründe. Es ist nicht ehrlich. Es ist verlogen und hinterfotzig. Ja genau. Das ist es.

Keinem der beteiligten geht es um das Wohl der anderen Personen. Person 2 bis 4 sind einfach zu feige der Wahrheit ins Auge zu blicken und ihren Mann bzw. Ihrer Frau zu stehen und ein wenig gesunden Egoismus an den Tag zu legen. Der gesunde Egoismus, der unsere Welt retten würde, wenn sich mehr Menschen diesen erlauben würden.

Wenn Person 4 ein besseres Leben haben möchte, gibt es dafür nur einen Weg: Person 5 verlassen. Alles andere ist Augenwischerei. Person 4 muss sich dafür entscheiden, ohne Rücksicht auf Verluste. Das geht aber nur mit ein wenig gesundem Egoismus.

Person 2 und 3  müssen sich entscheiden, wie sie damit umgehen. Keiner von uns will sein Leben aufgeben und ändern. Und das sollten wir auch nicht. Natürlich können wir Person 5 nicht alleine lassen, aber das tun wir heute ja auch nicht. Aber wir sind nicht verantwortlich für das Leben von Person 5.

Person 5 ist ein genauso erwachsener Mensch wie wir es sind. Und dafür müssen wir ein wenig gesunden Egoismus aus der Schublade holen und sagen: Ja … unsere Entscheidung ist richtig. Für uns. Für das jeweils eigene Leben. Egal, was andere sagen. Egal wie traurig Person 5 vielleicht schaut.

Person 5 dagegen hat es ein einfach. Person 5 hat nämlich eine ganze Menge Egoismus in sich. So viel das Person 5 niemals an etwa Schuld sein kann. Aber das ist ein ganz anderes Thema und muss an anderer Stelle erzählt werden.

Und ich? Bin ich wie Person 5? Bin auch ich ein großer Egoist, der den anderen nur böse Absichten unterstellt, um damit sein eigenes Handeln zu rechtfertigen? Oder hab ich es geschafft, den schmalen Grat zwischen gesundem Egoismus und Egomanie zu finden? Bin ich ein guter Mensch?

Um diese letzte Frage zu beantworten, möchte ich die großartige AnJe zitieren:

Ich halte Egoismus auch für eine ausgesprochen soziale Lebensform, denn in allen Bereichen, in denen ich mit anderen interagiere, die tendenziell für mich nützlich sein könnten, bemühe ich mich ja schon aus reinem Eigeninteresse, den anderen bei Laune zu halten und für gute Stimmung zu sorgen.

https://anjesagt.blogger.de/stories/2832727