Wir müssen über das sterben sprechen

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Der Tumor in seinem Kopf hat gesiegt. Ein toller Mensch weniger auf der Welt. Der erste Tumor konnte entfernt werden und nach einigen Monaten Chemo ging es ihm ganz gut. Ich glaube es dauerte dann ein Jahr bis der nächste Tumor entdeckt wurde und ab dann ging es natürlich bergab. Er war einer dieser Menschen, der Wochen vor dem jährlichen Medizinischen-Checkup Diät machte, keinen Alkohl trank und sich mit etwas Extra-Sport fit machte damit er gut Ergebnisse erzielte. Was natürlich nicht der Sinn eines Checkups ist. Regeln befolgen und Leistung zeigen. Es gab also keine Alternative zum Krebs bekämpfen. Auch wenn der Kampf aussichtslos war.

Sie war über 90 Jahre. Sie hat das Leben durchgspielt. Kinder, Enkel, Menschen, Arbeitsleben und Hausfrau. Alles was es da zu erleben, zu sehen und zu erfahren gibt. Überall ist ein Haken dran. Das Leben ist nur noch Monoton und geprägt von den Gebrechen des Alters. Schmerzen, aufs Essen achten, Medikamente einnehmen. Hausputzen, Garten machen, Fernsehen. Eigentlich hat sie keine Lust mehr. Sie liegt immer mehr. Sie steht oft nicht auf. Sie formuliert ganz klar: Ich will nicht mehr. Trotzdem dauert es noch 2 Jahre bis der körperliche Verfall so weit fortgeschritten ist, das es Zuende geht. Für den Partner sind die zwei Jahre nicht schön. Sie ist gefrustet und grantig. Er muss sich viele böse Dinge anhören. Sich beschimpfen lassen. Er muss Dinge tun, die man nicht mal bei einem Säugling gerne tut. Er darf aber auch nicht am sozialen Leben der anderen teilhaben. Wenn es mir nicht gut geht, darf es dir auch nicht gut gehen. Das bittere Ende eines langen gemeinsame Lebens. Und dennoch hoft er auf der Palliativstation das sie nochmal wach wird.

3 Monate lang liegt er im Wohnzimmer und versucht zu sterben. Der alte Körper mach schlapp. Essen und trinken ist schwierig. Wenn mal was geschluckt wird, rebeliert der Magen und alles kommt wieder hoch. Der Schlaf ist immer unruhig. Er wacht schreiend auf. Er ruft das er Angst hat. Er ruft nach Hilfe. Schmerzen und qualen. Er will zuhause sterben. Das sagt er immer wieder, in den guten Phasen in diesen drei Moanten. Die Morphiumdosen sind nicht hochgenug, anscheinend darf der Arzt nicht mehr zu hause verabreichen oder nur unter besonderer Aufsicht, warum das so lange dauert weiß ich nicht. Er hat einen Herzschrittmacher der das Herz immer wieder anschiebt und das sterben verlängert. Der Tod ist dann eine Erlösung für alle.

Ein paar gemeinsame Jahre als Rentner hatten sie, bevor er an einer Krankheit gestorben ist. Das ganze Leben haben sie gemeinsam verbracht und obwohl Kinder und Enkel für sie da waren, war sie allein. Sie wollte nicht mehr da sein. Sie sprang vom Balkon Ihres Hauses. Der Fall aus dem ersten Stock kann für den Tot reichen. In diesem Fall bedeutete er aber die Hölle auf Erden. Querschnittsgelähmt in einem Pflegeheim, depressive Phasen, starke Medikamente. Alles andere verbietet die Religion, die Gesellschaft und der Staat.

Wir haben das Recht auf körperliche und geistige unversehrtheit – aber zum sterben müssen wir leiden?

Wir brauchen einen gesellschaftlichen Wandel. Der kulturell und religös geprägte Gedanke des heiligen und schützenswerten Lebens muss ausgetausch werden. Dem Egoismus der Hinterbliebenen muss dem Egoismus der Selbstbestimmung weichen. Dann können Menschen mit gutem gewissen und ohne Probleme sterben, wann und wie sie es wollen. Und dann können wir auch ersthaft darüber sprechen wann ein guter Zeitpunkt ist, und welche Bedinungen die richtigen sind.

Würdevoll leben und würdevoll sterben.


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