… auuuuuuuusssss Berlin.
Kapitel 1 – Und die Reise beginnt
Ein Nachbar schickt mir eine Nachricht. Er hat eine Eintrittskarte für das Die Ärzte-Konzert in Bremen am Samstag. Ob ich mit will. Eigentlich nicht. Aber … wenn man schon die Gelegenheit hat, dann sagt man ja nicht nein.
Ich biete noch an, uns mit dem Auto hinzufahren. Das Konzert ist aber auf der Bürgerweide. Also direkt in der Stadt und direkt hinter dem Bahnhof. Alle haben ein 9-Euro-Ticket. Es bietet sich total an, das auszunutzen. So können ja auch alle nen Bier trinken. Oder 2 oder 3. Ich lasse mich davon überzeugen. Darüber werden wir am Abend noch sprechen.
17 Uhr ist Einlass, 19 Uhr soll die Musik losgehen. Wir (meine beiden Nachbarn – der Bulle und der Professor) nehmen den Bus um 15:55 und sollen gegen 17:15 in Bremen ankommen. Als wir im Oldenburger Bahnhof vom Bus in den RE umsteigen, bin ich schon ein wenig geschockt. Der Zug ist doch recht gut gefüllt mit Menschen. Einige haben Ärzte-Merchandise an sich und so ist klar, wohin die Reise geht. Wir unterhalten uns gut, die Fahrt vergeht zügig. Aber durch FFP2-Masken atmen, das macht Durst. Durst auf Bier.
In Bremen angekommen, spielt die Zeit bereits keine Rolle mehr. Wir möchten gemütlich was trinken und dann zum Ort des Geschehens trotten. Der Bahnhof ist voll. Gerammelt voll. Auch die Kneipen in der Bahnhofspassage sind voll. Werder spielt, die Leute trinken und schauen sich das Spiel an. Wir hoffen, außerhalb der Passage etwas zu bekommen. Kaum im Freien stellt sich der Professor an die erste Bierbude und bestellt. Eine Frau ruft meinen Namen. Ich schaue und erkenne meine älteste Schwester. Wir haben kein gutes Verhältnis. Aber hier in der Öffentlichkeit begrüßen wir uns und halten eine Runde Smalltalk. Warum nicht? Trotzdem merkwürdig. 10 Tausend Menschen auf dem Weg zu einem Konzert und ich treffe diese eine Person fern der Heimat.
Zum Glück merkt auch meine Schwester, dass der Smalltalk nicht weit führt. Wir verabreden uns auf der Bühne (*zwinkerzwinker*) und gehen auseinander. Jetzt schmeckt das Bier doppelt so gut. Langsam bewegen wir uns auf das Gelände zu. Das Bier (ich glaube 0,4 Liter) kostet 5,50 €. Das ist schon nen stattlicher Preis. Ich rechne im Kopf durch, wie weit ich mit meinem Budget komme (wir geben uns ja reihum die Runden aus).
Das Bier ist tatsächlich schnell aus gesüffelt. Ein kurzer Blick auf das Merchandise … nur bis 3 XL zu haben, für mich leider zu klein. So ist auch mehr Geld für Bier da. Schnell noch eins bestellt und dann kann man sich ja auch schon langsam anstellen.
Kapitel 2 – Und wir warten auf Die Ärzte
Auf der Bürgerweide müssen die Nachbarn erstmal auf das Dixie und ich bin mit dem Bier dran. Zu Hause hatte ich schon was getrunken und so langsam merke ich etwas. Ich bin gut gelaunt. Während ich warte, mache ich ein Bild von der Bühne und packe das in meinen WhatsApp Status.
Als die Nachbarn wieder mit mir aufgeschlossen haben, rücken wir weiter vor. Ich höre einen Schrei der Freude und spüre eine Umarmung. Eine gute Freundin hat meinen Status gesehen und mich daraufhin gesucht und gefunden. Heilfroh war sie, denn Ihre weibliche Begleitung hatte für den Abend noch ein Tinderdate in Bremen. So konnte sie sich an uns ranhängen. Natürlich gerne. Können wir so machen. Hat für uns auch ein Vorteil, in Oldenburg steht nämlich Ihr Auto beim Bahnhof und so bringt sie uns nach Hause und wir sparen uns das Taxi.
Aber es ist ein komisches Ding in mir, dass ich mich immer für die Personen in meiner Umgebung verantwortlich fühle. Und wir junge Damen dann noch ein kleines bisschen mehr als für die alten Knacker aus der Nachbarschaft.
Irgendwann sieht man Farin über die Bühne huschen und beim Zujubeln merke ich, dass ich schon ein wenig heiser bin. Verdammt. Also man auch Rod und Bela sieht, hab ich ein wenig Hoffnung das es keine Vorband gibt. Die Hoffnung wird aber sofort zerstört. Eine merkwürdige Punkband steht da und schrubbelt was runter. Ich bekomme davon nicht viel mit. Lieber Bier trinken und so Dinge.
Als die Nachbarn mal wieder auf dem blauen Weg sind, sehe ich mich um. Hinter mir steht eine junge Frau (na nicht ganz jung, aber jünger als ich), die in etwa meine Größe hat. Ich bin ein, zugegeben, ein wenig fasziniert und schaue deswegen wohl ein Moment zu lange und zu eindringlich in Ihre Richtung. Es ist ein Blick ohne Hintergedanken. Nur Neugierde. Sie schaut mich an und sagt: „Stell dich doch auf einen Hocker und sag mir ins Gesicht, was du denkst.“ Ich bin sprachlos. Etwas, das mir eher selten passiert. Ich bin eigentlich eher schlagfertig. Und der Spruch war ja auch nicht wirklich gut. Sicher einen Spruch, den sie ständig bringt, weil sie als große Frau von kleinen Männern begafft wird. Ein Spruch, der mich aber auch überraschte, weil sie total selbstbewusst aufgetreten ist und keine Anzeichen von irgendwas zu erkennen war. Also … so wie ich eigentlich.
Einige Zeit später grinste hinter meinen Nachbarn ein Typ mit Cap, Bart und Hornbrille in meine Richtung. Der Professor erzählt irgendwas und ich sagte: „Schau, das findet Mark Forster auch total witzig!“ Ähhh sagt der Bulle, der sieht ja überhaupt nicht aus wie Mark Forster.
Und so bin ich zweimal in die gleiche Falle getappt und bin von mir ziemlich enttäuscht. Denn ich hab ganz tief in die Schublade gegriffen und billige Klischees ausgepackt. Ohne Rücksicht auf die Gefühle anderer und ohne mein Handeln zu hinterfragen. Bin halt doch nur ein alter weißer Mann in Deutschland.
Es ist Zeit, nochmal Bier zu holen. Irgendwas stimmt mit der Zapfanlage nicht. Die Bedienung versucht verzweifelt andere Getränke zu verkaufen. Aber es ist nicht schlimm. Alle sind gut gelaunt. Ein Mädchen neben mir meint, wir würden unsere Getränke schneller bekommen, wenn wir gemeinsam bestellen. Ich hab die Logik nicht verstanden, aber dachte mir: Mein Rod, kann man ja mal probieren. Als das Bier wieder aus dem Fass herauskam, nahm sie meine drei und Ihre 4 Becher und bestellt 5 neue Bier. Irgendwie tauschten wir Geld hin und her und sie sagte, ich mache einen guten Schnitt. Ich glaubte ihr. Es war mir aber auch schon ein wenig egal. Ich mag es, wenn Menschen so friedlich, glücklich und problemlösend miteinander umgehen.
Kapitel 3 – Und sie spielen doch live Musik
Endlich beginnt das eigentliche Konzert. Leider ist die Akustik an unserem Standort etwas schlecht. Vieles hallt von einer Häuserwand weg und doppelt damit z. B. das Schlagzeug.
Auch die Ansagen, für die „Die Ärzte“ ja eigentlich bekannt sind, verhallen und kommen bei mir leider überhaupt nicht an. Das nächste Problem ist, dass die Band einfach viel zu viele Songs hat. Die haben sich zwar wirklich Mühe gegeben für jede Generation Ärzte Fans etwas zu spielen, aber viele werden unglücklich den Platz verlassen.
Und leider ist die Veranstaltung einfach viel, viel zu riesig. Wir stehen ca. in der Mitte und sind dennoch viel zu weit vom Geschehen entfernt. Weiter vor ist aber nicht mehr möglich. Einige Reihen vor uns wird es dann wirklich eng und ungemütlich.
Na ja, dennoch schaffe ich es Spaß zu haben. Ich singe mit, ich hüpfe und springe und tanze. Wenn die Nachbarn einen Song kennen, machen die gut mit. Ich binde aber auch die Fremden um mich herum mit ein. Mal hier jemand anspringen, mal da jemanden anlachen. Umdrehen und die Leute hinter einem antanzen und anlächeln. Solche Sachen. Auch gerne die Position wechseln. Mir tun die Leute hinter mir immer etwas leid. Man sieht ja so wenig.
Überhaupt muss es schrecklich sein, mit unter 1,90. Da sieht man ja nichts und die Luft ist das unten bei einem solchen Konzert wirklich ganz fürchterlich.
Irgendwann ruft mir eine Frau zu: „Es ist echt anstrengend, hinter dir.“ Ich lächle sie an, tanze sie an und frage: „Soll ich aufhören?“ Und stelle mich still hin. „Nein, nein … hab Spaß.“
Dann steht da ne dreier Gruppe. Zwei Schwestern und Ihre Freundin. Die Freundin kommt aus Berlin. Sie hat ein Shirt von der letzten Ärzte Club-Tour an. Oh … da wäre ich auch gerne gewesen. Eines der drei Mädchen möchte gerne auf die Schultern Ihrer Schwester. Sie fragen mich, ob ich stützen kann. Klar, das bekomme ich schon hin. Später soll ich helfen, das andere Mädchen in die Menge zu heben. Sie möchte sich nach vorne tragen lassen. Auch da bin ich dabei. Das klappt aber leider überhaupt nicht. Dann sind die drei verschwunden.
Ich finde es ja ein bisschen gut, dass drei Frauen in den Anfang 20 in mir eine Person sehen, der man so vertrauen kann. Hätten sie gedacht, ich wäre ein perverses altes Schwein ….. ein wenig fühle ich mich rehabilitiert.
Ich treffe das Mädchen vom Bierstand wieder. Sie möchte mir nichts abgeben. Aber das ist okay. Langsam wird es dunkel. Ich hab ne Sonnenbrille auf und erkenne mittlerweile kaum noch was. Jetzt kommen noch ein paar richtig gute Klassiker. Aber man merkt, dass dieses Konzert bald zu Ende sein wird. Vor allem aber auch bin ich langsam fix und fertig.
Das Mädchen aus Berlin steht vor mir. Ziemlich angetrunken. Alleine. Die beiden Schwestern sind irgendwo vorne. Und man wird sich schon wieder finden. Und sie hat 2 Handys in der Tasche. Da muss die eine auch noch eines haben.
Oh … meine Vaterinstinkte. Beschützen… Beschützen…
Die beste Band der Welt, die wirklich alt geworden ist, verabschiedet sich. Der musikalische Teil des Abends geht zu Ende. Es muss ca. 23 Uhr sein.
Kapitel 4 – Und jetzt schnell schnell nach Hause
Bei solchen Veranstaltungen ist es ja meist so, dass es Stellen gibt, an denen es sich staut. Die Türen, die Ausfahrt vom Parkplatz. Und dann, dann löst sich alles in Wohlgefallen auf.
Nicht so hier. Es bildete sich ein Zug Menschen, der vom Konzertgelände in den Bahnhof und durch den Bahnhof hindurch schlich. 10 Tausend Menschen am Stück im Schneckentempo. Draußen war es noch recht angenehm. Die Stimmung gut, einzelne Gruppen sangen Lieder und ich verlor den letzten Rest meiner Stimme. Wir verpassten den Zug, weil wir nicht schnell genug am Gleis waren. Also liefen wir bis auf den Bahnhofsplatz und der Professor besorgte Döner. Wir hatten ne knappe Stunde Zeit. Das sollte wohl reichen. Wir hatten aber auch ne gute Stunde bis hier her gebraucht, glaub ich.
Der Professor braucht knapp 20 Minuten. Dann hatten die drei was zu futtern. Ich wollte nicht. Ich war durch. Mit allem. Mit den letzten Bissen gingen wir wieder in den Bahnhof und als wir am Zug ankamen, waren die Bäuche gefüllt. Genauso wie der Zug nach Oldenburg. Eigentlich kein Platz mehr. Ich hätte gerne auf den nächsten gewartet oder eine andere Lösung gesucht. Denn die Leute standen wirklich im ganzen Zug dicht an dicht bis in den Türschließbereich hinein. Das war kein Spaß. Meine Mitstreiter stopften sich frohen Mutes in irgendwelche Lücken hinein und ich mit. Und so standen wir in einer Suppe von Menschen. Es war noch keine Abfahrzeit. Alle verschwitzt. Alle stanken. Alles ekelig. Der Zug fuhr nicht los. Es gab Männer mit Bierdosen und Gläsern in der Hand. Wie ätzend. Wie unverschämt. Kann man nicht irgendwann mit dem saufen aufhören? Es gab ein klatschendes Geräusch. Warum auch immer, hat eine Person einer anderen eine Kopfnuss verpasst. Die andere Person blutete. Die Stimmung war auf einmal sehr angespannt.
Ich machte mir Sorgen. Das könnte böse eskalieren. Tat es zum Glück aber nicht. Immer wieder blafften sich die Streithähne gegenseitig an. Immer wieder versuchten die Frauen der Männer zu beschwichtigen und machten sich dabei gegenseitig vorwürfe und fachten den Streit von neuem an. Auf der einen Seite ein Typ mit seiner Freundin. Auf der anderen Seite ein Typ mit seinen 2 Brüdern und einen Schwager. Ausserdem die jeweiligen Partner und irgendwo weiter hinten im Zug noch Freunde und Eltern. Ne richtige „Wirdorfiesgehenmalindiegroßestadt-truppe“. 16 Personen wie ich später erfuhr. Das hätte wirklich doof ausgehen können.
Bei der Kopfnussaktion spritzte Bier durch den Zug, der jetzt von der Decke tropfte. Perfekt. Bierhähnchen. Ich behielt die Personen im Blick. Die ganze Zeit. Ich muss böse geschaut haben. Irgendwann fragt mich der eine, was mein Problem sei. Ich machte ihm klar, dass ich der Meinung bin, dass die sich ganz schön was schämen sollten. Das die sich schlimmer als pubertierende Jungs benehmen. Sich schlagen, immer wieder Ärger machen, Bier in einem übervollen Zug trinken und darüber lachen und offenbar nicht verstehen, dass alle um sie herum genervt sind. Ich blicke in leere Augen.
Taktikwechsel. Um die Lage zu entspannen, suche ich das Gespräch über andere Dinge. Wo die Jungs herkommen. Was alle Brüder? Wie Alt denn? Schon so alt. Naja … das funktioniert. Dennoch ist die ganze Fahrt ziemlich grausig. Wenn man im Zug steht, kann an nicht aus den Fenstern schauen. Draußen ist aber sowieso alles dunkel. Der Zug hält auch immer wieder einfach so auf der Strecke. Keine Ahnung warum. Es ist schlimm. Es kommen Bahnhöfe, aber es steigt kaum wer aus.
Es ist 1:40. Endlich bin ich zuhause. Ich entleere meinen Körper und versuche zu entspannen und runterzukommen. Meine Knie schmerzen sehr. Ich habe Hunger. Meine Ohren dröhnen. Am ganzen Sonntag bin ich ein wenig von Sinnen. Es gibt so viele Eindrücke zu verarbeiten. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich Corona bekomme. Es grenzt schon an ein Wunder, wenn nicht.
Ein guter Abend …
P.S.: Es ist Mittwoch. Ich bin noch immer heiser. Corona hab ich bis jetzt nicht, auch wenn ich am Montag und Dienstag etwas schlapp war. Meinem Knie geht es besser, aber morgen auf dem Stadtfest in Oldenburg. Das wird vermutlich nicht so einfach.