25 Sekunden

Es ist der 2.1.2023. Ich sitze in meinem Büro und arbeite. Das Kind genießt schlafend die Ferien, die Frau ist arbeiten. Ein Geräusch schallt durchs Haus. Es ist das Telefon. Wir hatten vor Monaten den Klingelton gewechselt. Die Hunde jaulten immer los bei dem alten Klingeln. Ich hab mich an den neuen Ton noch nicht gewöhnt. Das Telefon klingelt zu selten. Mein Gehirn kann da nicht schnell genug assoziieren.

Was düddelt denn da. Achso ja, das Telefon. Ich flitze runter und schau aufs Display. Kein Name, nur eine Nummer. Friedrichsfehner-Vorwahl. Wenn Schule wäre, würde ich auf die Schule tippen. Dann würde aber auch „Eingang zur Hölle“ im Display stehen. Ich gehe mal ran.

Eine kratzige alte Stimme am anderen Ende. Es ist Nachbar von gegenüber. Es dauert ein wenig, bis wir uns gegenseitig verstehen. Mein Festnetz-Telefon ist scheiße und der Nachbar ist alt und hört schlecht. Schwierig. Ob ich die Telefonnummer von dem Heizungsbauer am Ort habe. „Nicht auswendig, aber warte. Ich suche Sie dir raus.“ Ich renne nach oben und google. Leider ist mein Festnetz-Telefon scheiße, so da die Verbindung abgebrochen ist. Ich mache mir ein Foto von der Nummer und gehe zum Nachbarn rüber.

Er öffnet die Tür, ich halte ihm die Nummer unter die Nase und werde fragend angeschaut.

Piep!

„Ich hab dich nicht verstanden! Das Telefonat ist abgebrochen!“ sagt der Nachbar. „Darum bin ich ja hier, Hans. Ich hab dir die Nummer herausgesucht.“

Piep!

„Muss Hedwig eben aufschreiben. Komm rein in die Küche.“

In der Küche riecht es, wie damals bei meiner Oma. Meine Oma wäre jetzt knapp 100 Jahre, glaube ich. Meine Nachbarn sind eine ganz andere Generation. Eher die Generation meiner Mutter, aber die ist … jünger. Moderner. Wann oder durch was passiert es, dass alte Menschen zu alten Menschen werden? Ich muss da gewaltig aufpassen. Auf dem runden Küchentisch liegen Bücher. Gelbe Seiten, das Örtliche. Eine Szene, die ich so seit vielen Jahren nicht mehr gesehen habe.

Piep!

„Unsere Heizung piept alle 25 Sekunden“, sagt Hans, „ich hab die Zeit gestoppt.“ „Unser Heizungsbauer geht nicht ans Telefon. Wir versuchen das schon den ganzen Tag.“, sagt Hedwig, „Wie heißt den der neue hier am Ort?“

Piep!

„John, heißt der. Hier ist die Nummer. Hast du was zu schreiben, ich diktiere.“ Es braucht drei Anläufe, bis die Nummer in akkurater, leserlicher Schrift im Telefonbuch eingetragen ist. „Ist die Heizung den warm? Habt ihr heißes Wasser? Steht was auf dem Display von der Heizung? Soll ich mal schauen?“

Piep!

Hans läuft los, ich hinterher. Irritierenderweise biegt Hans ins Wohnzimmer ab und steht vor seinem Kaminofen (der nebenbei gesagt, so sauber ist, also ob der noch nie benutzt worden wäre). „Ich hab schon mit dem Ofenbauer telefoniert, der sagt, das kann nicht vom Ofen kommen“

Ich blicke mich suchen im Wohnzimmer um. Ich suche eine Schalttafel von der Heizung. Das muss doch nen Fehlercode stehen oder so. „Aber Hans, wo ist denn das Bedienteil von der…“

Piep!

Ach Moment, das piepen kommt ja von der Decke. Ich blicke hoch und sehe den Rauchmelder. „Hans, wie lange habt ihr denn schon den Feuermelder?“ Hans brubelt etwas, was ich nicht verstehe. Ich konzentriere mich auf den kommenden Piepton. Will hören, ob das von dort oben kommt. Wenn man darauf warten sind 25 Sekunden wirklich lang.

Piep!

Ja, es ist der Rauchmelder. Ich strecke mich hoch zur Decke. Der Melder ist mit einem Magneten an einer Metallplatte an der Decke befestigt. Es ist also leicht das Ding abzunehmen und zu öffnen. Der nächste Piepton in meiner Hand verschafft mir endgültige Gewissheit.

Ich erkläre den beiden das sie eine neue 9 Volt Blockbatterie benötigen. Sollen mir Bescheid sagen, dann hänge ich den Rauchmelder wieder an die Decke. Seit kurz vor Weihnachten piept es schon im Haus. Alle 25 Sekunden. Ich biete, wie schon so häufig, meine Hilfe an. Müssen nur klingeln, wenn was ist. Ich komme doch gerne rüber. Ich muss wieder an die Arbeit.

Alle 25 Sekunden ein Piep!

Alle fünfundzwanzig Sekunden.


5 Antworten

  1. Avatar von Thomas

    Ich würd‘ ein Like da lassen – so ist‘s ein Kommentar: zu schön die Geschichte. ❤️

  2. Avatar von Angela
    Angela

    Oh je! Seit Weihnachten… Vielleicht könntest du dir angewöhnen einmal pro Woche oder alle 14 Tage bei den alten Leuten reinzuschauen? Musst es ihnen ja nicht sagen, denn dann wird es schnell zu einer lästigen Verpflichtung! Du bist schon ein Guter! ❤️
    LG aus Oldenburg

    1. Avatar von Alexander Thiel
      Alexander Thiel

      Ziehe extra weit von meinen Eltern weg ….
      Ja ich werd mal schauen, dass ich mich da ein wenig mehr einbringe.

  3. Avatar von Henning Uhle

    Eine großartige Geschichte. Danke dafür. Gab es denn wenigstens den Hilferuf, dass der Rauchmelder wieder an die Decke gepappt werden muss?

    1. Avatar von Alexander Thiel
      Alexander Thiel

      Tatsächlich nicht. Ich frag mal nach (siehe oben)