30 Tage / 30 Artikel: Tag 16: Gedanken über Bildung und Ausbildung

Als Vater eines Grundschülers in Niedersachsen ist das genau mein Thema, den mehr oder weniger täglich werde ich mit den Unzulänglichkeiten des Schulsystems konfrontiert und spüre dabei die Machtlosigkeit mit der man dem ganzen gegenüber steht.

Ich will dabei gar nicht so sehr auf Lehrkräfte, Schulleitungen und pädagogische Mitarbeiter rumkloppen. Es wäre zu einfach die Unzulänglichkeiten einzelner Personen und Positionen auf den Tisch zu knallen und sich daran zu weiden. Und das wäre auch gemein. Ich bin selber 22 Jahe im Berufsleben und mach weißgott nicht alles perfekt in meinem Beruf.

Das ambivalente Schulsystem
Jede neue Generation von Lehrkräften versucht die pädagogischen Fehler der vorherigen Generation nicht zu wiederholen. Daraus resultieren Versuche die Schule kreativer, individueller, weniger Streng, flexibler und offener zu machen. Gleichzeitig hat man dank Pisa-Studie festgestellt das wir scheinbar dumm sind und fordert daher mehr Leistung von Schulen und Schülern. Das eine passt natürlich nicht zum anderen. Chaos, Verunsicherung, aufgeregte Eltern und überforderte Lehrkräfte sind die Folge. Mehr Spaß an der Schule oder bessere Leistungen? Die gibt es nicht. Aber hey, könnte ich es besser?

Bestandsaufnahme – das heutige System
Da muss ich weiter ausholen. Wird in der Grundschule z. B. eine Mathearbeit geschrieben wird diese eine Woche vorher angekündigt. Aber diesem Zeitpunkt wird im Unterricht der Stoff der Mathearbeit wiederholt, die Hausaufgaben wiederholen die passenden Matheaufgaben und die Eltern sind angehalten noch zusätzlich mit Ihren Kindern zu üben*. Sprich: Es wird alles dafür getan, das möglichst viele Schüler möglichst gute Zensuren schreiben.

Gute Zensuren sind toll. Gute Zensuren zeigen dem Direktor das die Lehrkraft ihren Job versteht. Gute Zensuren zeigen das deine Schule gut ist und Eltern Ihre Kinder unbedingt dorthin schicken sollten, da freut sich der Direktor. Die Eltern freuen sich über gute Noten und darüber das ihr Kind auf eine weiterführende Schule kann und dann einen tollen Beruf bekommt. Und nicht zu letzt freut sich das Kind über eine gute Note. Kann man mit angeben und vielleicht gibt es ein Taschengeldbonus von Oma, Opa und Mama. Alle finden gute Noten toll**. Allen ist daran gelegen gute Noten zu schreiben.

Kinder die den Stoff kurz vor dem Test/der Prüfung noch nicht verstanden haben, werden total verunsichert, den sie müssen jeden Tag Aufgaben erledigen die sie nicht verstehen. Es baut sich Frustration und vielleicht sogar Angst vor schlechten Noten auf. Aus Angst und Frustration entsteht eine Blockade-Haltung und das Kind lernt gar nicht mehr. Der Stoff wird weiter nicht verstanden.  Die schlechte Note ist vorprogrammiert was weitere Frustration fördert.

Ein Teufelskreis.

Die Mathearbeit ist geschrieben und korrigiert worden. Alle Schüler bekommen Ihre Arbeit wieder und um den Lehrauftrag abzuschließen wird der Stoff der Arbeit noch einmal durchgesprochen. Zack und dann geht es weiter.

Noch absurder ist das ganze in Nebenfächern. Sachkunde, Religion, Musik und Sport, später Geschichte, Biologie und Erdkunde. Für das Berufsleben sind die Fächer vollkommen nebensächlich, außer man möchte Pädagoge oder Wissenschaftler werden.  Ja, ja! Schon gut. Bio ist wichtig für Mediziner, Physik für Elektroberufe etc pp. Aber darum geht es ja nicht.

Diese Fächer werden unterrichtet um ein Basiswissen zu schaffen, das für das Erwachsenenleben wichtig ist. Geschichte, Religion und Erdkunde sind wichtig um Politik und Gesellschaft zu verstehen. Musik und Kunst um Kreativität zu fördern und Sport damit man mal weiß was man so machen kann für seinen Körper. Physik, Chemie und Bio damit man vielleicht Ansatzweise versteht, wie die Welt funktioniert. Dieses Basiswissen zu benoten ist, wie wenn man einem Kindergartenkind eine Note fürs Schuhe-zu-binden oder Nase putzen geben würde.

Ein unsportliches Kind, bleibt vermutlich unsportlich und drohende Noten sind da wenig motivierend. Für Musik braucht man Talent und Interesse und Religion ist ein Thema für sich. Der Druck der Noten bewirkt hier also das Gegenteil. So passiert was passieren muss. Die eigentlich sehr wichtigen Nebenfächer verkommen zu Notenspiegelanhebeinstrumenten. Der nicht ganz schlaue Sportler hat wenigsten hier ein Erfolgserlebnis und die fleißigen aber unsportlichen Kinder können durch eine 1 in Physik die 4 in Sport ausgleichen. Um mal in Stereotypen zu denken.

Hinzu kommt natürlich das alle vor dem Zeugnis noch Ihre Noten schreibe müssen, entsprechen wächst der Druck und das Arbeitsaufkommen für die Kids in den Wochen vor den Zeugnissen immer enorm. Nach den Zeugnissen tritt dann eine extreme Ruhephase ein bis es langsam wieder schlimmer wird.

Und das schlimmste. Spätestens wenn das Zeugnis geschrieben ist, ist die einzelne Note einer Arbeit nicht mehr relevant. Und spätestens wenn die Versetzung in die nächste Klasse vollzogen wurde ist das Zeugnis des Vorjahres nicht mehr relevant. Und wenn das Studium begonnen hat, fragt keiner mehr nach dem Abitur.

Das ambivalente (ich liebe dieses Wort) dabei ist, das wir Schummeln. Die Note soll eigentlich wiederspiegeln ob das Kind den gelernten Stoff verstanden hat. Das Ziel ist aber nicht mehr das verstehen des Stoffes sondern die gute Note. Also lernen wir und machen alles um eine gute Note zu bekommen. Und das ist schummeln und selbstverarsche.

Und die Folgen dieses Systems?
Mit Sicherheit ist die Folge nicht das wir jährlich tausende von Schulabgängern haben die in eine erfolgreiches Berufsleben starten. Im Gegenteil bemängeln die ausbildenden Betriebe das die jungen Meschen unreif und dumm sind. Auch hat diese System nicht geholfen den sogenannten Fachkräftemangel zu beseitigen.

Die Folgen sind eher das Eltern, Schule und Staat händeringend nach Lösungen suchen damit die Noten besser werden.

Erstes Mittel: Förderunterricht in der Schule. Die „schlechten“ Kinder werden mit zusätzlichem Unterricht bestraft. Die „guten“ dürfen nach Hause oder haben Freistunden. Die schlechten werden in kleinen Gruppen von manchmal überforderten Pädagogen gezwungen nochmal den ganzen Stoff durchzugehen. Als ob es helfen würde alles nochmal nicht zu verstehen.

Zweites Mittel: Nachhilfe. Entweder bei älteren Schülern, online oder bei professionellen Nachhilfeschulen. Also noch mehr Unterricht und noch mehr Wiederholung. Hilft häufig sogar. Allerdings wird hier ja lediglich das Symptom schlechte Note bekämpft. Das Kind wird dadurch nicht interessierter, schlauer oder reifer. Und im schlimmsten Fall wird die Nachhilfe zur festen Einrichtung bis ans Ende der Schulzeit. Das kann ja eigentlich nicht Sinn und Zweck sein.

Drittes Mittel: Ergotherapie. Sind die Noten allzu schlecht, folgt ggf auch noch auffälliges Verhalten der auch noch Unterrichtsstörend ist. Vor 20ig Jahren Grund genug das Kind auf eine Sonderschule abzuschieben. Heute Grund genug den Eltern zu empfehlen doch mal zum Kinderpsychiater zu gehen. Der kann durch „gezielte“ Tests herausfinden, welche Defizite bestehen und eine passende Therapie empfehlen. Oh wunder, findet dieser auch etwas. Zack …. Ergotherapie. Die Therapeuten sind begeistert vom Kind und freuen sich. Klappt ja alles prima. Eigentlich komisch das der kleine zu Therapie soll. Aber schadet ja nicht. Gerne noch ein Folge-Rezept holen und wiederkommen.

Fazit der Bestandsaufnahme
Mit dem Ziel das jede einzelne Ebene sich mit kurzfristigen Erfolgen brüsten kann, wird Unterrichtszeit mit unnützen und frustrierenden Wiederholungen verschwendet, unnötiger Druck auf Kinder ausgeübt und letztendlich sogar Kinderseelen zerstört. Es macht dabei auch keinen Unterschied ob die Leistungskontrolle über Noten 1-6, A-F oder mit ++,+,o,- erfolgt. Daher ist nur ein Fazit gültig:

Weg mit jeglicher Leistungskontrolle.

Ein Aufschrei … so geht das doch nicht
Eltern, Lehrer, Direktoren, Kultusministerien und einfach alle benötigen doch ein Instrument zur Kontrolle der Lernerfolge. Sonst weiß man doch gar nicht ob das Bildungssystem funktioniert? Man weiß ja gar nicht welcher berufliche Werdegang möglich ist? Man weiß ja gar nicht wo man das Kind fördern muss. Nein, wir brauchen da was. Schriftlich und regelmäßig.

Also das geht. Und wie ich mir das Vorstelle werde ich am Tag 1 nach dieser Challenge schreiben. Den dieser Artikel ist wirklich schon lang genug….

*aber bitte nicht länger als 25 Minuten am Tag, inklusive der Hausaufgaben. Die Kinder sollen ja noch Zeit haben zu spielen und Kind zu sein. Aber wenn die Kinder Lust haben können die ja gerne noch diesen und jene Zusatzaufgabe machen. Hier gerne noch was zum Knobeln. Und einige Kinder sind ja auch schon mit dem Übungsheft durch. Ganz toll. Ich kann Ihnen da gerne noch ein weiteres Heft empfehlen.
**weil wir“ zu unserer Zeit an Noten gemessen wurden. Nicht weil es wirklich toll ist. Noten sind einfach, plastisch und pragmatisch. Eine drei ist eine drei. Jeder weiß was das bedeutet ohne zu wissen wie die Note entsteht. Jedem ist klar das eine 3 auf einem Gymnasium besser als eine 3 auf der Hauptschule ist, aber da reicht dann auch wirklich an Unterteilung.